Durch die Bundesrepublik reisen, das Virus in die Verwandtschaft tragen: Für viele hat sich dieses Weihnachten wie eine Katastrophe mit Ansage angefühlt. Als der „Lockdown Light“ nicht die gewünschten Erfolge zeigte, wurde er am 16. Dezember verschärft. Dennoch bangten viele, dass die Deutschen die klassischen Weihnachtsbesuche nicht sein lassen und viel unterwegs sein würden. Bilder aus stark frequentierten Skigebieten in den deutschen Mittelgebirgen taten ihr übriges.
Doch Handy-Bewegungsdaten lassen nun hoffen. Eine Tagesspiegel-Auswertung von Handydaten zeigt, dass der Lockdown die Mobilität der Menschen deutlich verringert. Die Bewegungen haben seit Beginn der verstärkten Kontaktbeschränkungen am 16. Dezember 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 20 Prozent abgenommen. Die Daten stammen von dem Analyseunternehmen Teralytics, das anonymisierte Funkzellendaten von deutschen Mobilfunkanbietern verarbeitet.
Auf der folgenden Deutschlandkarte sehen Sie alle Stadt- und Landkreise, zunächst eingefärbt nach der Veränderung der Bewegungen für die Zeit des Lockdown – also ab Beginn der verschärften Kontaktbeschränkungen am 16. Dezember 2020 bis zum 10. Januar 2021. Wenn Sie umschalten, sehen Sie die durchschnittliche Sieben-Tage-Inzidenz für die Zeit vom von 16. Dezember bis 11. Januar. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist die Summe der gemeldeten Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner*innen. Der Durchschnitt liefert einen Vergleich zu den Mobilitätsdaten für das Infektionsgeschehen der vergangenen Wochen. Wenn Sie auf die Landkreise klicken, finden Sie die genauen Werte.
Auffällig ist, dass die Mobilität im Nordosten der Republik weniger stark zurückgegangen – oder sogar gestiegen ist. Außerdem fällt auf, dass vor allem in den Großstädten die Mobilität zurückgegangen ist.
Trotzdem ist – wie bei allen Datenanalysen – Vorsicht geboten. Eine absolut eindeutige Aussage über einen langfristigen Mobilitätstrend an Weihnachten lässt sich anhand der Daten nicht treffen. Denn die Mobilität ist auch im Vorjahr an den Weihnachtsfeiertagen gesunken. Es ist also eher üblich, dass Mobilität an Weihnachten abnimmt. Zwar hat sie dieses Jahr noch stärker abgenommen als 2019, aber Daten aus weiteren Jahren liegen dem Tagesspiegel nicht vor. Deshalb können wir nur zwei kurze Zeiträume miteinander vergleichen, wodurch keine langfristigen Trends bestimmbar sind. Denn theoretisch könnte es sein, dass die Mobilität an Weihnachten 2019 zufällig ein Ausreißer in der Statistik war – nach oben oder unten.
Die vorhandenen Daten von 2019 und 2020 weisen aber stark darauf hin, dass die Mobilität der Deutschen 2020 nicht nur vor und nach den Feiertagen, sondern auch an Weihnachten selbst gesunken sein könnte: Denn die Mobilfunkmasten zeichneten 2020 auch im Zeitraum um Weihnachten (21. Dezember 2020 bis 3. Januar 2021) rund 14,5 Prozent weniger Bewegungen auf als in demselben Zeitraum 2019. Das deutet darauf hin, dass dieses Weihnachten tatsächlich weniger Menschen zu ihren Familien gefahren sind, oder sich zumindest weniger häufig besucht haben.
Doch dieser Effekt findet sich nicht überall. In einigen Kreisen nahm die Mobilität sogar zu, besonders stark im Landkreis Holzminden, gelegen zwischen Göttingen und Bielefeld. In anderen Regionen schränkten sich die Menschen hingegen offenbar sehr stark ein. Vor allem im bayerischen Regen, einem Landkreis, der lange extrem hohe Inzidenzwerte vermeldete, brach die Mobilität drastisch ein.
Es gibt ein weiteres Indiz dafür, dass viele dieses Weihnachten anders verbracht haben als sonst: die Streckenlänge der Bewegungen. Dirk Brockmann ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet eine Projektgruppe am Robert-Koch-Institut, die sich mit der Simulierung von Infektionswegen beschäftigt – unter anderem mithilfe von Mobilitätsdaten, die die Forscher auch online zur Verfügung stellen. Er erklärt, dass in beiden Lockdowns vor allem die Bewegungen über größere Distanzen abnahmen – stärker als die kürzeren Bewegungen. Dafür analysieren er und sein Team, wie viele Bewegungen den Landkreis verlassen. „Das ist ein grober Indikator“, sagt Brockmann.
Welche von den Bewegungen von Reisen und Ausflügen verursacht werden, sagen die Daten nicht aus. Denn auch Pendler:innen und Bewegungen von Menschen, die an der Grenze von zwei Landkreisen wohnen, sind in den Daten enthalten. Was sie aber zeigen: Es gibt insgesamt weniger Bewegungen zwischen den Kreisen.
Laut dem Physiker Brockmann, der sich vor allem mit computergestützter Epidemiologie beschäftigt, kann Mobilitätsreduktion dazu beitragen, die Pandemie einzudämmen: „Die Einschränkung der Mobilität schränkt indirekt auch Kontakte ein.“
Wie groß aber etwa der Effekt der am Dienstag beschlossenen Regel sein wird, dass Menschen aus Landkreisen mit hoher Inzidenz sich nicht mehr als 15 Kilometer über die Kreisgrenzen hinaus bewegen dürfen, sei noch nicht geklärt. „Man kann davon ausgehen, dass es etwas bringt – dass es Kontakte reduziert –, man weiß aber noch nicht wie viele.“
Denn auch unter normalen Umständen machten längere Reisen sowieso „einen geringeren Teil der Mobilität aus“, nämlich etwa 20 bis 30 Prozent aller Bewegungen. Das heißt: Die meisten Bewegungen finden sowieso innerhalb eines 15-Kilometer-Radius statt, man trifft mit der Maßnahme also nur einen sehr kleinen Teil der Mobilität.
Bis feststeht, wie viele Kontakte sich mithilfe der Maßnahme reduzieren ließen, unterstütze Brockmann die Maßnahme dennoch ausdrücklich: Man müsse derzeit eben alle Register ziehen.
Während Google eigene Daten für Analysen verwendet, stammen die Daten der Tagesspiegel-Analysen von der Firma „Teralytics“, die sie von Mobilfunkbetreibern bezieht. Eine „Bewegung“ wird aufgezeichnet, wenn sich ein Handy bewegt und dabei in mehrere Mobilfunkmasten einloggt. Bleibt es länger als 60 Minuten (bei Flugreisen 240 Minuten) in einem Masten – oder in mehreren Masten, die aber nah beieinander liegen – registriert, gilt die Bewegung als abgeschlossen. Gezählt werden Bewegungen von Mobilfunkgeräten, die sich über eine Strecke von mehr als zwei Kilometern Luftlinie bewegen. Teralytics rechnet die Daten mithilfe von statistischen Verfahren hoch, damit sie repräsentativ für die Bevölkerung sind. „Teralytics möchte zu einer datengetriebenen Rückkehr zur Normalität beitragen“, sagt Teralytics-Mitgründer Georg Polzer.
Das Unternehmen zeichnet außerdem auf, in welchem Landkreis das Handy zuletzt länger eingeloggt war, in welchem die Bewegung endet und wie viele Kilometer Luftlinie es zurücklegt. Die Daten erfassen alle Arten von Bewegungen in allen Verkehrsmitteln: die von Pendlern und Touristen ebenso wie die von Joggern und Einkaufenden, Autofahrten ebenso wie Inlandsflüge. Und summiert man sie über die Zeit hinweg auf, zeigen sie Trends: Wie viele Bewegungen finden wann insgesamt statt?