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Wohnungsmarkt in Madrid

Eine Stadt als Ankauf-Verkauf-Laden

In der spanischen Hauptstadt kaufen internationale Immobilienfonds wie Blackstone oder Cerberus Hunderttausende Mietwohnungen, um sie wenig später gewinnbringend zu verkaufen.
In der spanischen Hauptstadt kaufen internationale Immobilienfonds wie Blackstone oder Cerberus Hunderttausende Mietwohnungen, um sie wenig später gewinnbringend zu verkaufen.

In Madrid ist auf dem Wohnungsmarkt seit einigen Jahren ein globales Monopoly-Spiel zu beobachten: Internationale Investmentfonds wie Blackstone oder Cerberus kaufen Mietshäuser auf, erhöhen die Mietpreise und verkaufen das Haus gewinnbringend wenige Jahre später. Auch andere große spanische Städte wie Barcelona oder Valencia sind ein beliebtes Ziel der Investoren.

Nicht selten verkaufen diese Investmentfonds die Häuser gleich wieder an andere Immobilieninvestoren. Das Geschäftsmodell geht von vorne los. Innerhalb von sechs Jahren haben die Fonds auf diese Weise 450.000 Wohnungen an- und verkauft.

Die Folge: Zwischen 2013 und 2019 sind die Mietpreise alleine in Madrid um 45 Prozent gestiegen, wie ein Bericht der spanischen Zentralbank zeigt. Mieter:innen in Häusern der Investmentfonds müssen die Mietpreiserhöhungen akzeptieren, oder ausziehen und sich ein neues Zuhause suchen.

Anteil der Sozialwohnungen: Weniger als drei Prozent

Der Mieter:innenschutz ist in Spanien traditionell schwach. Während in anderen europäischen Ländern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der kommunale Wohnungsbau begann, passierte in Spanien nichts. Bis heute beträgt der Anteil an Sozialwohnungen weniger als drei Prozent.

Die steigenden Mietpreise haben ihre Ursache in der Finanzkrise und der geplatzten Immobilienblase im Jahr 2008: Hunderttausende Familien konnten die Hypotheken für ihre Wohnungen und Häuser nicht mehr bezahlen, Zwangsräumungen waren in den darauffolgenden Jahren an der Tagesordnung. Der Wohnraum ging an die spanischen Banken und der Berg an unverkäuflichen Immobilien gefährdete ihr Überleben. Spaniens Finanzsektor stand vor einem Scherbenhaufen.

Aufkehren sollte den nun die 2012 gegründete staatliche „Bad Bank“ Sareb – eine Abwicklungsgesellschaft, die den maroden Banken Immobilien und faule Kredite im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro abgenommen hat. Bis 2027 soll Sareb diese Immobilien und Kredite wieder verkaufen, im besten Fall mit Gewinn. Viele dieser Immobilien gehen an Investmentfonds wie Cerberus und Blackstone. Gerade in Madrid führt das zu einer Verschiebung: 2017 lebten hier noch 26 Prozent der Menschen im eigenen Eigentum – nicht zur Miete. Also gibt es wenig Schutzmaßnahmen für Mieter.

Politiker streiten über richtigen Mieterschutz

Angesichts der steigenden Mietpreise in Madrid und anderen Großstädten will die Regierungskoalition bestehend aus Sozialisten und der linken Podemos-Partei gegensteuern – doch die Koalitionspartner streiten offen über den richtigen Kurs. Podemos drängt auf generelle Mietobergrenzen, die Sozialisten wollen stattdessen Steuererleichterungen für Vermieter, die ihre Miete in angespannten Wohnungsmärkten senken. Bereits 2019 hat die Regierungskoalition die Mindestmietdauer von drei auf fünf Jahre erhöht – in diesem Zeitraum darf Mieter:innen nicht gekündigt werden.

Die Investmentfonds sind offenbar guter Dinge, dass ihr Geschäftsmodell auch nach der Pandemie profitabel bleibt: 40 Milliarden Euro wollen sie mittelfristig in den spanischen Immobiliensektor investieren, wie eine Branchenumfrage bei 200 Fonds und Investoren im Sommer 2020 ergab.

Cities for Rent
Über das Projekt

„Cities for Rent“ ist ein europäisches Rechercheprojekt. Alle arbeiten unabhängig voneinander, aber Rechercheergebnisse werden geteilt. Es besteht aus 16 Teams in 16 europäischen Hauptstädten und Metropolen in 16 Ländern (genaue Liste der Medien und Journalist:innen unten). Sieben Monate lang untersuchte der Rechercheverbund die lokalen Wohnungsmärkte, recherchierte Daten zu großen Wohnungsunternehmen, Preisentwicklungen, Investitionen und demografische Entwicklungen in den einzelnen Städten und verglich gemeinsame Strukturen.

Was hat der Tagesspiegel in dem Projekt gemacht?

Das Tagesspiegel Innovation Lab ist der Berliner Teil dieser Recherche und veröffentlicht die Rechercheergebnisse in Deutschland. Neben lokalen Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt hat das Team die Visualisierungen und ein gemeinsames Gestaltungskonzept für das Verbundprojekt entwickelt. Die interaktiven Vergleichsgrafiken können dabei von allen genutzt werden, übersetzt und eingeordnet in der jeweiligen Landessprache. Eine Übersicht aller Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektseite bei Arena Journalism for Europe.

Beteiligte Partnermedien und Rechercheorganisationen

Wien: ORF, Brüssel: Apache, Prag: Deník Referendum, Kopenhagen: Information, Paris: WeReport, Mediapart, Athen: AthensLive, Reporters United, Dublin: Dublin Inquirer, Milan: IrpiMedia, Amsterdam: Follow the Money, Oslo: E24, Lissabon: Expresso, Bratislava: Aktuality, Madrid: El Diario, Zürich: Reflekt, Republik,

In den nächsten Tagen und Wochen werden wir weitere Egebnisse veröffentlichen. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.

Die Recherche wurde von „Stichting Arena for Journalism in Europe“ koordiniert, einer Stiftung für grenz­über­greifenden europäischen Journalismus unterstützt.
Die Entstehung dieser Recherche wurde durch ein Stipendium des Fonds Investigative Journalism for Europe (IJ4EU)
Der Kartendienst MapTiler unterstützt das Verbundprojekt als Mapping Partner.

Weitere relevante Recherchen, Veröffentlichungen und Studien, auf die aufgebaut wurde

Bereits 2018 startete der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv das Projekt Wem gehört Berlin Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern wollte das Team herausfinden, wem die Häuser dieser Stadt gehören, um mehr Transparenz auf dem Berliner Immobilienmarkt zu schaffen. So entstand etwa eine Geschichte über eine britische Milliardärsfamilie, die zu den geheimem Großeigentümern dieser Stadt gehört. Außerdem haben wir uns auf die Suche begeben, wer letztendlich vom Berliner Mietmarkt profitiert. In dem europäischen Projekt konnten wir auf die Erkenntnisse aus dieser Recherche aufbauen. Das Projekt Wem gehört...? in Deutschland wurde vielfach fortgesetzt. Mittlerweile gibt es das Projekt in zahlreichen deutschen Städten.

Es gab weitere relevante Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt, auf die wir aufbauen konnten. So hat das Projekt Wem gehört die Stadt? unter der Leitung von Steuerexperte Christoph Trautvetter hat seither mit verschiedenen Studien neue Erkenntnisse zum Berliner Mietmarkt veröffentlicht. Der Experte hat das Projekt mit wertvollen Erkenntnis unterstützt.

Das Berliner Rechercheprojekt Mietenwatch veröffentlichte ebenfalls Analysen, auf die wir aufbauen konnten.

Das Immobilienanalyseunternehmen Real Capital Analytics erstellte für die europäische Recherche eine Auswertung von Investitionen in den beteiligten Städten, die es uns kostenfrei zur Verfügung stellte.

Wir bedanken uns außerdem bei Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, die zahlreiche relevante Datensätze zum europäischen Wohnungsmarkt veröffentlicht haben und auf zahlreiche Rückfragen zu Datenquellen antworteten.

Wie geht es weiter mit der Recherche?

Es folgen noch weitere Veröffentlichungen – im Tagesspiegel – und in den europäischen Partnermedien des Projekts. Außerdem werden alle veröffentlichbaren Datensätze aus dieser Recherche mittelfristig auf einer Zentralen Seite von Arena Journalism veröffentlicht, um künftige Recherchen zum Wohnungsmarkt in Europa zu vereinfachen.

Das Team

Manuel Gabarre
Recherche Madrid
Sinan Reçber
Text
Veröffentlicht am 30. April 2021.