Artikel teilen
teilen
Wohnungsmarkt in Zürich

Die verzweifelte Hauptstadt der Miete

In keiner europäischen Stadt wohnen so viele Menschen zur Miete wie in Zürich. Die Stadt versucht zwar ihr Bestes, kämpft aber trotzdem gegen steigende Mieten.
In keiner europäischen Stadt wohnen so viele Menschen zur Miete wie in Zürich. Die Stadt versucht zwar ihr Bestes, kämpft aber trotzdem gegen steigende Mieten.

Goldküste nennen die Zürcher das rechte Ufer des “Zürisees”. An schönen Abenden taucht die Sonne die dortigen Villen in goldenes Licht. Zürich ist eine der wichtigsten internationalen Finanzzentren, die Stadt hat die dritthöchste Millionärsdichte weltweit. Und doch: Der Anteil an Mietern ist dort höher als in Berlin.

Zürich ist die heimliche Hauptstadt der Mieter. 91,8 Prozent der Menschen hier leben zur Miete, in Berlin sind es 82,6 Prozent. 2011 haben die Zürcher in einer Volksabstimmung beschlossen, dass bis zum Jahr 2050 der Anteil an gemeinnützigen Wohnungen unter den Mietwohnungen auf ein Drittel erhöht werden soll. Schon jetzt sind es 26 Prozent.

Regeln gegen Auslandsinvestitionen – mit wenige Erfolg

Auch gegen das internationale Kapital gibt es dort Gesetze: Wie in der ganzen Schweiz gilt in Zürich ein Gesetz, das ausländischen Personen und Firmen untersagt, Wohnraum im Land zu erwerben. Schon seit 1983 gilt die sogenannte „Lex Koller”, damit soll die “Überfremdung des einheimischen Bodens” verhindert werden. Klingt hart – bringt anscheinend auch wenig.

Längst haben sich die Mieter:innen der Stadt in zwei Gruppen geteilt – jene, die relativ günstig in genossenschaftlichen oder städtischen Wohnungen wohnen, in alten Wohnungen, die nicht saniert oder neu gebaut wurden. Und die anderen, die in Neubauten oder sanierten Wohnungen leben. Der Mietpreis, der auf dem freien Immobilienmarkt verlangt wird, ist alleine zwischen 2000 und 2015 um 65 Prozent gestiegen.

Weil es aber schwer ist, Miete bei Bestandsmietern zu erhöhen, wählen immer mehr Vermieter den Weg über Umbauten und Sanierungen. Einige Mieter:innen müssen ihre Wohnungen verlassen, obwohl die Wohnungen an sich in einem guten Zustand sind. 2020 sollten die Bewohner:innen der „Siedlung Brunaupark” im Süden Zürichs ihre Wohnungen verlassen, um Platz für einen Neubau zu schaffen.

Sie protestierten und wehrten sich vor Gericht. Eigentümerin ist die Credit Suisse, eine der größten Banken der Schweiz. Nun dürften die Mieter:innen bis 2024 bleiben, die Eigentümerin hat das Projekt überarbeitet und einen neuen Bauantrag eingereicht.

Der größte Investor: Swiss Life

Wenn eine Stadt zu so hohem Anteil aus Mietimmobilien besteht, hat das auch noch einen anderen Effekt: Es gibt extrem viele Häuser, die man als Anlage kaufen kann. Weil die Preise für Wohnungen immer weiter steigen und der Anlagedruck der Immobilienfonds und Pensionskassen immer höher wird, nimmt die Zahl der Wohnungen, die Unternehmen anstelle von Privatpersonen gehören, weiter zu. Waren 2005 noch 24 Prozent der Wohnungen in Hand von Firmen, waren es 2020 schon 31,5 Prozent. Die größte unter ihnen: Die Versicherung Swiss Life. Auch in Berlin hat der Konzern Wohnungen, wirbt für Projekte wie „Mehrgenerationen-Wohnen”. Weitere Eigentümer sind Banken wie die größte Bank der Schweiz UBS, Investmentfirmen, Immobilienfonds.

Bei letzterem findet sich auch eine Lücke der Lex Koller: Ausländische Investoren können zwar keine Häuser direkt kaufen, aber durchaus Anteile an Immobilienfonds erwerben. Das Kapital gelangt also trotzdem in den Wohnungsmarkt. Und das vollkommen intransparent. Auch das Vorhaben, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, läuft nicht optimal. Denn oft gehen die Grundstücke an den höchstbietenden Investor. Freiflächen gibt es kaum noch. Es könnte also noch teurer werden in Zürich.

Noch mehr Infos und alle weiteren Artikel aus der Recherche in Zürich finden sich beim Schweizer Medienpartner von Cities for Rent: Reflekt.ch

Cities for Rent
Über das Projekt

„Cities for Rent“ ist ein europäisches Rechercheprojekt. Alle arbeiten unabhängig voneinander, aber Rechercheergebnisse werden geteilt. Es besteht aus 16 Teams in 16 europäischen Hauptstädten und Metropolen in 16 Ländern (genaue Liste der Medien und Journalist:innen unten). Sieben Monate lang untersuchte der Rechercheverbund die lokalen Wohnungsmärkte, recherchierte Daten zu großen Wohnungsunternehmen, Preisentwicklungen, Investitionen und demografische Entwicklungen in den einzelnen Städten und verglich gemeinsame Strukturen.

Was hat der Tagesspiegel in dem Projekt gemacht?

Das Tagesspiegel Innovation Lab ist der Berliner Teil dieser Recherche und veröffentlicht die Rechercheergebnisse in Deutschland. Neben lokalen Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt hat das Team die Visualisierungen und ein gemeinsames Gestaltungskonzept für das Verbundprojekt entwickelt. Die interaktiven Vergleichsgrafiken können dabei von allen genutzt werden, übersetzt und eingeordnet in der jeweiligen Landessprache. Eine Übersicht aller Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektseite bei Arena Journalism for Europe.

Beteiligte Partnermedien und Rechercheorganisationen

Wien: ORF, Brüssel: Apache, Prag: Deník Referendum, Kopenhagen: Information, Paris: WeReport, Mediapart, Athen: AthensLive, Reporters United, Dublin: Dublin Inquirer, Milan: IrpiMedia, Amsterdam: Follow the Money, Oslo: E24, Lissabon: Expresso, Bratislava: Aktuality, Madrid: El Diario, Zürich: Reflekt, Republik,

In den nächsten Tagen und Wochen werden wir weitere Egebnisse veröffentlichen. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.

Die Recherche wurde von „Stichting Arena for Journalism in Europe“ koordiniert, einer Stiftung für grenz­über­greifenden europäischen Journalismus unterstützt.
Die Entstehung dieser Recherche wurde durch ein Stipendium des Fonds Investigative Journalism for Europe (IJ4EU)
Der Kartendienst MapTiler unterstützt das Verbundprojekt als Mapping Partner.

Weitere relevante Recherchen, Veröffentlichungen und Studien, auf die aufgebaut wurde

Bereits 2018 startete der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv das Projekt Wem gehört Berlin Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern wollte das Team herausfinden, wem die Häuser dieser Stadt gehören, um mehr Transparenz auf dem Berliner Immobilienmarkt zu schaffen. So entstand etwa eine Geschichte über eine britische Milliardärsfamilie, die zu den geheimem Großeigentümern dieser Stadt gehört. Außerdem haben wir uns auf die Suche begeben, wer letztendlich vom Berliner Mietmarkt profitiert. In dem europäischen Projekt konnten wir auf die Erkenntnisse aus dieser Recherche aufbauen. Das Projekt Wem gehört...? in Deutschland wurde vielfach fortgesetzt. Mittlerweile gibt es das Projekt in zahlreichen deutschen Städten.

Es gab weitere relevante Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt, auf die wir aufbauen konnten. So hat das Projekt Wem gehört die Stadt? unter der Leitung von Steuerexperte Christoph Trautvetter hat seither mit verschiedenen Studien neue Erkenntnisse zum Berliner Mietmarkt veröffentlicht. Der Experte hat das Projekt mit wertvollen Erkenntnis unterstützt.

Das Berliner Rechercheprojekt Mietenwatch veröffentlichte ebenfalls Analysen, auf die wir aufbauen konnten.

Das Immobilienanalyseunternehmen Real Capital Analytics erstellte für die europäische Recherche eine Auswertung von Investitionen in den beteiligten Städten, die es uns kostenfrei zur Verfügung stellte.

Wir bedanken uns außerdem bei Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, die zahlreiche relevante Datensätze zum europäischen Wohnungsmarkt veröffentlicht haben und auf zahlreiche Rückfragen zu Datenquellen antworteten.

Wie geht es weiter mit der Recherche?

Es folgen noch weitere Veröffentlichungen – im Tagesspiegel – und in den europäischen Partnermedien des Projekts. Außerdem werden alle veröffentlichbaren Datensätze aus dieser Recherche mittelfristig auf einer Zentralen Seite von Arena Journalism veröffentlicht, um künftige Recherchen zum Wohnungsmarkt in Europa zu vereinfachen.

Das Team

Esther Banz
Recherche Zürich
Stirling Tschan
Recherche Zürich
Helena Wittlich
Text
Christian Zeier
Recherche Zürich
Veröffentlicht am 29. April 2021.