Ein extremer Kontrast: Über 400 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona meldeten deutsche Ämter zuletzt an vielen einzelnen Tagen – in China waren es oft null. Der sogenannte Wellenbrecher-Lockdown light hat zwar das Ansteigen der Zahlen in Deutschland gebremst, aber sie sinken langsamer als erhofft. China hat mit harten, aber gezielteren Maßnahmen offenbar Erfolg. Niedrige Zahlen melden auch andere ostasiatischen Staaten wie Japan oder Vietnam mit einer ähnlichen Bevölkerungsdichte wie Deutschland. Was machen diese Länder anders als Europa?
Es gibt mehrere Erklärungen dafür, warum die ostasiatischen Staaten bisher besser durch die Pandemie gekommen sind.
Oft wird auf die Erfahrungen mit früheren Pandemien wie SARS oder MERS verwiesen. So sagte Xi Chen von der Yale-Universität dem wissenschaftlichen Journal „The Lancet“ die Gesellschaft sei sehr wachsam gegenüber Corona gewesen. „Andere Länder haben keine so frischen Erinnerungen an eine Pandemie.“
Deswegen reagierten Menschen disziplinierter und bedachter. Außerdem gab es in der Verwaltung mehr Erfahrung und Vorräte an Ausrüstung. Heute geht China Berichten zufolge sehr schnell vor, wenn Infektionsherde bekannt werden. In wenigen Tagen werden Millionen der Anwohner kontrolliert, die Gemeinden gehen in den Lockdown und der wird hart durchgesetzt.
China reagiert also prompt auf neue Infektionscluster. Als das Coronavirus in Wuhan sich zunehmend verbreitete, reagierte China besonders früh mit harten Lockdown-Maßnahmen – wohl auch eine Lektion aus früheren Pandemien. Sie begannen am 23. Januar in Wuhan und umfassten weit strengere Vorgaben als in Europa.
China, Japan, Südkorea und Vietnam schlossen schnell ihre Grenzen und haben bis heute strenge Vorgaben für Einreisende. Sie setzten zur Bekämpfung des Virus von Beginn an einen Maßnahmenkatalog um, der nicht alle zwei bis vier Wochen angepasst wurde, wie das in Deutschland der Fall ist. Einen ähnlich harten und konsequenten Kurs fuhr auch Neuseeland – mit dem Ergebnis noch niedrigerer Sterbezahlen. In Deutschland starben bereits wesentlich mehr Menschen an oder mit dem Virus.
In China greift der Staat massiv durch, woanders in Ostasien sind die Maßnahmen teilweise freiwillig, etwa in Japan das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes. Der gehörte hier schon vor Corona zum Alltag. Der entscheidende Unterschied besteht in der Disziplin. Vanessa Vu etwa schreibt auf „Zeit Online“: „Die eigene Freiheit und die eigene Meinung stehen in vielen ostasiatischen Ländern nicht zwangsläufig und zu jeder Zeit über der aller anderen, sondern können für ein Gemeinwohl zurückgestellt werden.
Regeln bringen nichts, wenn sie nicht eingehalten werden. In Deutschland gibt es zahllose Beispiele für lasch umgesetzte Maßnahmen. So fragte der Tagesspiegel Checkpoint kürzlich bei Berliner Hotels an, wie man die Reisegründe kontrolliere. Offenbar kaum: „Für unsere Ladies & Gentlemen besteht keine Berechtigung oder Pflicht zur Prüfung der Angaben der Gäste“, antwortet das Ritz-Carlton. Freiwillige Angaben ohne Prüfung in Deutschland, China hingegen kontrollierte Menschen mit Kameradrohnen und überwacht sie per App.
Es gibt allerdings auch Zweifel, wie verlässlich Statistiken aus China oder Vietnam sind. Beide sind Ein-Parteien-Staaten, die Pressefreiheit ist eingeschränkt. So verweisen etwa amerikanische Forscher auf Daten zu chinesischen Krematorien und zweifeln die chinesischen Corona-Zahlen deswegen an. Allerdings wäre es auch in China schwer zu verbergen, wenn die Kliniken durch die Pandemie ans Limit kämen.
Südkorea, Japan oder auch Taiwan sind demokratische Staaten. Die Zahlen von dort dürften belastbarer sein als die aus China. Trotzdem sind internationale Zahlen immer nur bedingt vergleichbar. Auch setzen diese Länder auf eine ganz andere Teststrategie als etwa Deutschland. In der ersten Welle war gerade Südkorea für die vielen Tests gelobt worden, die es dort gab. Heute liegt das Land mit weniger als 0,5 täglichen Tests pro 1000 Einwohner weit hinter Staaten wie Großbritannien (mehr als 4 tägliche Tests pro 1000) oder Deutschland (über 2 pro 1000). Noch seltener testen Japan und Vietnam; Chinas Test-Quote ist nicht genau bekannt.
Auch wenn die Zahlen nur bedingt vergleichbar sind, gibt es weitere Hinweise darauf, dass die Staaten Ostasiens im Vergleich zu Europa extrem gut durch die Pandemie kommen. Aus den USA, Großbritannien oder Italien etwa gibt es dieses Jahr Meldungen einer außergewöhnlichen Übersterblichkeit. Das heißt, dass dort deutlich mehr Menschen sterben als im Durchschnitt der letzten Jahre. Für Japan und Südkorea deuten die Daten darauf hin, dass die Übersterblichkeit gering bleibt oder gar nicht feststellbar ist.
Noch ein gutes Zeichen: Eine Studie auf Corona-Antikörper konnte in Japan nur eine geringe Virus-Verbreitung feststellen. In Tokio wurden die Antikörper nur bei etwa 0,1 Prozent der Getesteten gefunden. Eine ähnliche Untersuchung in Taiwan fand gar nur bei 25 von über 14.000 Menschen Antikörper gegen Sars-CoV-2. Das ist eine erstaunlich niedrige Quote. Es deutet darauf hin, dass das Virus auf der Insel tatsächlich kaum verbreitet ist. Hierzulande sieht die Lage ganz anders aus: Im früheren deutschen Hotspot Tirschenreuth wiesen Forscher Antikörper bei fast jedem zehnten Untersuchten nach. 100-mal so oft wie in Tokio.
Auch die Zahlen der aktiven Fälle, die zur jeweiligen Zeit am Virus erkrankt waren, bewegt sich in Ostasien ebenfalls in einer viel niedrigeren Größenordnung.
Dabei sind die Kapazitäten der Krankenhäuser in Japan und Südkorea viel größer, könnten also auch länger standhalten. Die beiden Staaten belegen die ersten beiden Plätze eines OECD-Rankings der Klinikbetten pro Bevölkerung. Auf 1000 Menschen kommen 13 beziehungsweise 12,4 Betten – in Deutschland sind es immerhin acht Betten, in Großbritannien nur 2,5 pro 1000.
Trotz all der Vorsicht verzeichnen auch Japan und Südkorea aktuell wieder steigende Zahlen, übertreffen teilweise die Werte aus dem Frühjahr. Und noch wird in beiden Ländern weniger getestet als in Europa, die Dunkelziffer könnte also hoch sein. Doch obwohl in Japan die offiziell gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner nicht höher als in Deutschland im August liegen, hat Japans Regierungschef Yoshihide Suga bereits am 19. November die „höchste Alarmstufe“ ausgerufen. Unterschätzen dürfe man das Virus nicht, sagte auch der japanische Ärztevertreter Toshio Nakagawa zuletzt zu Reportern. Und fügte hinzu: „Wir dürfen nicht werden wie die USA oder Europa.“