Bestünde Berlin nur aus dem Tarifbereich A der S-Bahn, wäre der Volksentscheid „ Deutsche Wohnen und Co.” mit großer Zweidrittelmehrheit angenommen worden. Nicht einmal ein Drittel (31,1 Prozent) stimmte dagegen. Die Menschen in den Wahlbezirken außerhalb des S-Bahn-Rings unterstützten nur mit 53,1 Prozent die Idee, Wohnungskonzerne mit über 3000 Wohnungen zu enteignen. 42 Prozent stimmten dagegen.
Der S-Bahn-Ring hat sich zu einer neuen, unsichtbaren Grenze in der Stadt entwickelt. Bei vergangenen Wahlen teilte der ehemalige Mauerverlauf die politische Landschaft der Hauptstadt. Analysiert man die rund zweitausend Wahlbezirke in Berlin bei der Wahl 2021, so zeichnet sich ein neues Bild der geteilten Stadt – außen gegen innen. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind im Vergleich dazu kleiner geworden.
Auf einmal wählt ein Teil des Ostens CDU – sowohl bei der Berlin-Wahl als auch bei der Bundestagswahl. In den Wahlbezirken innerhalb des S-Bahn-Rings bekam die Union weniger Zuspruch, nur 11,3 Prozent der Zweistimmen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Im Osten der Stadt sind es 14,3 Prozent und damit nur fünf Prozentpunkte weniger als die Linke im Osten (19,4 Prozent). Im Westen kommt die Partei um Spitzenkandidat Klaus Lederer auf 10 Prozent.
Besonders die Ergebnisse des Volksentscheids zeigen, wie unterschiedlich Probleme wie unterschiedlich das Wohnraumproblem innerhalb des Ringes im Vergleich zu den Außenbezirken wahrgenommen wird. Der gesamte Osten der Stadt stimmte zwar ebenfalls mehrheitlich mit 60 Prozent deutlich für den Volksentscheid im Vergleich zum Westen. Dort waren es nur 53.7 Prozent. Die Differenz zwischen „Ja” und „Nein” in und außerhalb des Rings ist aber wesentlich größer. Das zeigt auch die noch genauere Analyse: Nimmt man nur Stimmbezirken, die IM Ring liegen UND zum früheren Westteil der Stadt gehören, stimmten 64,9 Prozent mit ja. In ehemaligen Ostteilen der Stadt IM Ring sind es 65,4 Prozent – kaum ein Unterschied. Außerhalb des S-Bahn-Rings stimmten im Osten 58,5 Prozent mit Ja, im Westen sogar nur 48,8 Prozent.
Auch parteipolitisch ist man auf der anderen Seite der Schiene nicht unbedingt einer Meinung. Schaut man nur auf die Zweitstimmen bei der Abgeordnetenhauswahl, so ergeben sich zwei sehr unterschiedlich aufgestellte Parlamente für Berlin. Im Innern des Rings hieße die neue Regierende Bürgermeisterin Bettina Jarasch, die Grünen kamen hier auf 30 Prozent der Stimmen. Außerhalb des Rings wäre die CDU zweitstärkste Kraft geworden.
Natürlich sind solche Analysen nur bedingt aussagekräftig. Denn außerhalb des S-Bahn-Rings wohnen etwa dreimal so viele Wahlberechtige wie im Ring. Deshalb ähneln die Ergebnisse dort dem von Gesamtberlin. Wir haben außerdem bei unseren Analysen einige wenige Wahlbezirke ausgeschlossen, die genau auf dem Ring liegen. Deren Stimmen hätten aber die Ergebnisse der Berechnungen nicht ausschlaggebend verändert.
Was die Analyse zeigt: Vor allem für Grüne und CDU wäre die Wahl je nach Region anders ausgegangen. Innerhalb des Rings konnten die Grünen 11,1 Prozent mehr Stimmen bekommen, die CDU hingegen verliert 6,7 Prozent im Vergleich zum Gesamtergebnis. Außerhalb des Rings ist die CDU ein Gewinner im Vergleich zum offiziellen Ergebnis, hier bekommt sie 2,5 Prozentpunkte mehr. Die Grünen verlieren 4,2 Prozent im Vergleich zum vorläufigen amtlichen Endergebnis. Zwischen Ost und West sind die Unterschiede in Stimmen der Grünen geringer – in Westberlin 20,3 Prozent, im Osten sind es 16,9 Prozent.
Auffällig in den fiktiven Parlamenten der Ringbahn: die AfD schafft es innerhalb des Rings nicht mal über die 5-Prozent-Hürde. Und auch außerhalb reicht es nicht für ein zweistelliges Ergebnis. 2016 hatte die rechte Partei noch 14,2 Prozent in der ganzen Stadt bekommen.
Wie sehr sich der Einfluss der AfD auf die Außenortsteile konzentriert, zeigt auch ein Blick auf die BVV-Wahlen. In Neukölln unterscheiden sich die Bezirks-Wahlergebnisse innerhalb und außerhalb der Ringbahn stark. Innerhalb des Rings hätte Neuköllns BVV zu knapp 60 Prozent aus Linken und Grünen bestanden, außerhalb des Rings würde die AfD auf dem dritten Platz in Neukölln landen – nach SPD und CDU. Die SPD landete außerhalb des Rings an erster Stelle und erhielt fast ein Drittel der Stimmen.
Nicht ganz so drastische Unterschiede hätten die jeweils innerstädtischen und außerstädtischen BVVen in Pankow. Auch hier kommen Grüne und Linke innerhalb des Rings auf rund 60 Prozent der Stimmen bei der BVV-Wahl. Außerhalb des Rings, in Weißensee, Buch, Blankenfelde und Co. reicht es noch für knapp 40 Prozent, zweitstärkste Kraft nach den Grünen wäre aber die SPD. In Pankow wäre außerdem, genau wie in Neukölln, in den Außenbezirken die Tierschutzpartei in der BVV gelandet.
Ähnlich zu den Analysen zu den Abgeordnetenhausstimmen gilt auch für Neukölln und Pankow: Innerhalb des Rings leben viel weniger Menschen als in den Außenbezirken. Daher fließen mehr Stimmen aus den Außenbezirken in die Entscheidung, wer in Neukölln und Pankow regiert. Die hippen Innenstadtbezirke werden politisch stärker von außen bestimmt als umgekehrt. Gerade in umstrittenen politischen Themenfeldern wie der Verkehrspolitik oder Klimaschutzmaßnahmen könnten diese Unterschiede in den nächsten fünf Jahren noch eine große Rolle spielen.