Einen Abschluss machen, einen Job anfangen und eine Wohnung kaufen: Auf diese drei Grundsteine baut das bürgerliche Leben in Norwegen. Kein Wunder, dass das Land 2019 mit rund 80 Prozent eine der höchsten Eigentumsquoten im europäischen Vergleich verzeichnete.
Doch der Traum vom Eigenheim hat seinen Preis, besonders in der Hauptstadt Oslo an der Südküste des Landes. Im Februar 2021 waren die Osloer Immobilienpreise um 15,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Preistreiber sind die niedrigen Zinsen, die Kredite für den Wohnungskauf für noch mehr Norweger:innen attraktiv machen. Aber nicht nur für Eigenheimanwärter.
Daher ist der Anteil der Miethaushalte in Oslo sogar leicht auf 31 Prozent gestiegen. Die Osloer Immobilienpreise sind inzwischen für viele schlicht zu hoch: Quadratmeterpreise von 100.000 Norwegischen Kronen, umgerechnet fast 10.000 Euro pro Quadratmeter, sind nicht mehr ungewöhnlich. Hinzu kommt massive Zuwanderung in die norwegische Hauptstadt. Die Bevölkerung in der Region ist in den vergangenen zehn Jahren um gut 16 Prozent gewachsen. Von rund 1,1 auf 1,3 Millionen.
Gleichzeitig sind für den kreditfinanzierten Wohnungs- und Hauskauf gleich mehrere Hürden zu überwinden: Laut Gesetz müssen Norweger:innen mindestens 15 Prozent des Immobilienpreises als Eigenkapital mitbringen, ehe sie eine Hypothek auf ihr begehrtes Eigenheim aufnehmen dürfen. 2017 hat die norwegische Regierung eine weitere Einschränkung vorgenommen: Der auf diese Weise aufgenommene Kredit darf nicht mehr als das fünffache Jahreseinkommen der Kreditnehmenden betragen.
Damit bleibt vielen Einwohner:innen in Oslo wenig anderes übrig, als zur Miete zu leben. Der größte Eigentümer in der norwegischen Hauptstadt ist das Immobilienunternehmen Heimstaden, das gerade auch in Berlin Wohnungen gekauft hat. Heimstaden gehören 3700 Wohnungen. Dem Unternehmer und einem der reichsten Menschen Norwegens, Olav Thon, gehören 1800 Wohnungen.
Im Gegensatz zu Metropolen wie Berlin und Madrid ist der Mietwohnungsmarkt in Norwegens Hauptstadt allerdings noch recht entspannt. Die Mietpreise wachsen in der Regel nicht viel stärker als die Inflation. Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich, denn der Wohnungsbestand in kommunaler Hand ist gesunken, ebenso wie die Zahl der Wohnungen des Osloer Studierendenwerks.
Weitere Faktoren, die die Zahl der Mietwohnungen verknappen: Immer mehr Menschen leben in Single-Haushalten. Also könnten zukünftig mehr Einwohner:innen in Oslo zur Miete leben. Denn der in Oslo ganz normale Traum von der Eigentumswohnung rückt für immer mehr Einwohner:innen in weite Ferne.
___Weitere Rechercheergebnisse in Oslo finden Sie auf der Seite des norwegischen Medienpartners der Recherche Cities for Rent E24 (auf Norwegisch).
„Cities for Rent“ ist ein europäisches Rechercheprojekt. Alle arbeiten unabhängig voneinander, aber Rechercheergebnisse werden geteilt. Es besteht aus 16 Teams in 16 europäischen Hauptstädten und Metropolen in 16 Ländern (genaue Liste der Medien und Journalist:innen unten). Sieben Monate lang untersuchte der Rechercheverbund die lokalen Wohnungsmärkte, recherchierte Daten zu großen Wohnungsunternehmen, Preisentwicklungen, Investitionen und demografische Entwicklungen in den einzelnen Städten und verglich gemeinsame Strukturen.
Das Tagesspiegel Innovation Lab ist der Berliner Teil dieser Recherche und veröffentlicht die Rechercheergebnisse in Deutschland. Neben lokalen Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt hat das Team die Visualisierungen und ein gemeinsames Gestaltungskonzept für das Verbundprojekt entwickelt. Die interaktiven Vergleichsgrafiken können dabei von allen genutzt werden, übersetzt und eingeordnet in der jeweiligen Landessprache. Eine Übersicht aller Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektseite bei Arena Journalism for Europe.
Wien: ORF, Brüssel: Apache, Prag: Deník Referendum, Kopenhagen: Information, Paris: WeReport, Mediapart, Athen: AthensLive, Reporters United, Dublin: Dublin Inquirer, Milan: IrpiMedia, Amsterdam: Follow the Money, Oslo: E24, Lissabon: Expresso, Bratislava: Aktuality, Madrid: El Diario, Zürich: Reflekt, Republik,
In den nächsten Tagen und Wochen werden wir weitere Egebnisse veröffentlichen. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.
Bereits 2018 startete der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv das Projekt Wem gehört Berlin Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern wollte das Team herausfinden, wem die Häuser dieser Stadt gehören, um mehr Transparenz auf dem Berliner Immobilienmarkt zu schaffen. So entstand etwa eine Geschichte über eine britische Milliardärsfamilie, die zu den geheimem Großeigentümern dieser Stadt gehört. Außerdem haben wir uns auf die Suche begeben, wer letztendlich vom Berliner Mietmarkt profitiert. In dem europäischen Projekt konnten wir auf die Erkenntnisse aus dieser Recherche aufbauen. Das Projekt Wem gehört...? in Deutschland wurde vielfach fortgesetzt. Mittlerweile gibt es das Projekt in zahlreichen deutschen Städten.
Es gab weitere relevante Recherchen in den Berliner Wohnungsmarkt, auf die wir aufbauen konnten. So hat das Projekt Wem gehört die Stadt? unter der Leitung von Steuerexperte Christoph Trautvetter hat seither mit verschiedenen Studien neue Erkenntnisse zum Berliner Mietmarkt veröffentlicht. Der Experte hat das Projekt mit wertvollen Erkenntnis unterstützt.
Das Berliner Rechercheprojekt Mietenwatch veröffentlichte ebenfalls Analysen, auf die wir aufbauen konnten.
Das Immobilienanalyseunternehmen Real Capital Analytics erstellte für die europäische Recherche eine Auswertung von Investitionen in den beteiligten Städten, die es uns kostenfrei zur Verfügung stellte.
Wir bedanken uns außerdem bei Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, die zahlreiche relevante Datensätze zum europäischen Wohnungsmarkt veröffentlicht haben und auf zahlreiche Rückfragen zu Datenquellen antworteten.
Es folgen noch weitere Veröffentlichungen – im Tagesspiegel – und in den europäischen Partnermedien des Projekts. Außerdem werden alle veröffentlichbaren Datensätze aus dieser Recherche mittelfristig auf einer Zentralen Seite von Arena Journalism veröffentlicht, um künftige Recherchen zum Wohnungsmarkt in Europa zu vereinfachen.