Es bleibt eine der größten Sorgen in der Pandemie: die Überlastung der Intensivbetten. Was das bedeutet, zeigten dramatische Bilder aus anderen Ländern. In Großbritannien etwa standen Ende Oktober 2021 Krankenwagen vor der Notaufnahme im Stau, mindestens zwei Corona-Infizierte starben wegen der langen Wartezeiten. Bisher waren in Deutschland genug Kapazitäten vorhanden. Werden sie auch weiterhin reichen?
Die deutschen Intensivstationen versorgen Anfang November 2021 etwas mehr als 2700 Menschen mit einer schweren Covid-19-Infektion. Diese Zahl liegt zwar deutlich unter dem bisherigen Höhepunkt vom 3. Januar 2021, als das DIVI-Intensivregister 5762 Corona-Intensivpatient:innen meldete. Aber sobald die täglichen Corona-Neuaufnahmen stark steigen, steigt auch die Zahl der Intensivpatienten. Anfang November liegt der Wert bei durchschnittlich rund 200 neuen Patient:innen pro Tag. Zwei Wochen zuvor waren es noch 124.
Möglich ist die angemessene intensive Behandlung nur, solange es nicht zu viele schwere Verläufe gleichzeitig gibt. Ansonsten sterben mehr Menschen – an Corona, aber auch an anderen Krankheiten, weil sie dann nicht mehr optimal behandelt werden können. Denn trotz Pandemie passieren Unfälle, Menschen bekommen Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Auch für deren Behandlung braucht es freie Intensivbetten.
Deswegen ist es wichtig, die Auslastung der Intensivstationen zu kennen, die alle Patient:innen auf deutschen Intensivstationen enthält, nicht nur Coronapatient:innen.
Auch wenn sie nur einen kleinen Teil aller Intensivpatientinnen und -patienten ausmachen, können zusätzliche Corona-Fälle zum Problem für die Intensivstationen werden. Denn dann werden die Betten knapp. In bestimmten Regionen ist das früher der Fall. Wie in der zweiten Welle meldeten Anfang November 2021 erste Landkreise, dass alle Betten auf Intensivstationen belegt seien, etwa der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
Neue Corona-Patient:innen, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, müssen dann in Krankenhäuser in umliegenden Landkreisen gefahren werden. Einige verschieben inzwischen schon wieder erste planbare Operationen, um ihre Intensivstationen zu entlasten – am 9. November 2021 kündigte das auch die Berliner Charité abermals an.
Die Zahlen zu den Intensivkapazitäten in Deutschland stammen aus dem „DIVI-Intensivregister“, das die „Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“, eine Fachgesellschaft für Intensivmedizin, gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut betreibt. Seit 16. April sind alle Kliniken mit Intensivstationen gesetzlich verpflichtet, ihre Kapazitäten an das Register zu melden. Seit 3. August melden die Kliniken außerdem sogenannte Notfallreserven – Intensivbetten, die innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden können.
Auch wenn die Auslastung der Intensivstationen in allen Bundesländern hoch ist, gibt es regional große Unterschiede.
Wie viele Intensivbetten ein einzelnes Krankenhaus hat, hängt sehr stark von der Größe und Aufteilung der Klinik ab. Dem Deutschen Krankenhausinstitut zufolge haben kleine Krankenhäuser mit weniger als 300 Betten im Schnitt nur zwölf Intensivbetten. In großen Krankenhäusern mit über 600 Betten sind es durchschnittlich immerhin 57 Betten. Noch größere Kliniken mit mehreren Standorten haben oftmals mehrere hundert Intensivbetten. Im Schnitt hat ein Krankenhaus in Deutschland 20 Intensivbetten.
Wir zeigen auf einer Karte, welche Kliniken noch freie Bettenkapazitäten melden.
In der vierten Corona-Welle kommt ein neues Problem hinzu: Die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten hat abgenommen. Anfang August 2020 standen 40.198 zur Verfügung, Mitte November 2021 sind nur noch 32.213 nutzbar.
Die Zahl der Betten ist also um fast 20 Prozent gesunken. Wie kann das sein? Das liege vor allem an Personalproblemen, sagt DIVI-Sprecherin Nina Meckel: Die Pandemie habe das Pflegepersonal ermüdet, einige hätten gekündigt. Zudem seien viele an Corona erkrankt oder sogar gestorben. „Pro Bett ist eine halbe Stelle verloren gegangen“, sagt Meckel. Und mit jeder wegfallenden Pflegekraft fallen 2,5 Betten weg.
Immerhin eine positive Nachricht gibt es: Obwohl die Inzidenz bei Kindern im November deutschlandweit am höchsten ist, zeichnen sich keine Engpässe auf den Kinder-Intensivstationen ab. „Covid ist kein Thema in der Kinderintensivmedizin“, sagt DIVI-Sprecherin Meckel. „Derzeit [am 8. November 2021] liegen in ganz Deutschland neun Kinder mit oder wegen COVID auf der Intensivstation“, sie alle hätten schwerwiegende Vorerkrankungen. Kinder verkraften eine Corona-Infektion normalerweise relativ gut. Die Meldungen der Kinder-Intensivstationen bestätigen das.
Ob die Erwachsenenbetten ausreichen, wird sich zeigen. Denn ob das Gesundheitssystem der Belastungsprobe standhält, lässt sich immer erst etwas später sehen. Von einer Infektion zu einem schweren Verlauf, der eine Krankenhaus- und dann vielleicht sogar eine Intensivbehandlung nötig macht, vergehen Tage, manchmal Wochen. Deshalb steigt die Belegung der Intensivstationen mit zeitlichem Abstand zu den Infektionszahlen. Und dann unterscheidet sich, wie lange Menschen auf der Intensivstation liegen. Expert:innen sprechen deshalb von einer nachgelagerten Welle. Die ließ sich schon im Winter 2020 beobachten: Während in der zweiten Welle die meisten neuen Fälle am 23. Dezember 2020 gemeldet wurden, meldeten die Intensivstationen am 4. Januar 2021 die bisher höchste Auslastung in der Corona-Pandemie.